Die Einladung klang harmlos:
"Mach doch Deine erste Lesung bei mir im Laden!
Gemütlich, kleiner Kreis, eventuell sogar ein paar vertraute Gesichter."
Klar, dachte ich. Was soll da schon schiefgehen?
Ein paar Wochen später saß ich also zwischen ausgewählten Vintage-Blusen,
edlen Designer-Taschen, einem riesigen Holztisch mit ausgelegten Exemplaren meines
Buchs, extra bestellten Bänken und diversen Spiegeln, die gnadenlos jedes Gramm Nervosität reflektierten.
Der wunderschöne Second-Hand-Laden einer Freundin. Ort für anziehende Fundstücke, reizende Begegnungen - und jetzt also meine Premiere als Vorleserin.
Schon beim Eintreffen der ersten Gäste - leider gab es krankheitsbedingt ein paar Absagen! - hatte ich das Gefühl, mein Puls würde gleich die 180 überschreiten.
"Frau Arras, Sie sehen ja ganz entspannt aus!", sagte jemand. Ich nickte routiniert lässig,
während mein rechter Fuß heimlich den Takt von EYE OF THE TIGER trommelte.
Es war dann ein kleiner feiner Mix aus Zuhörern:
Charmante Stammkundinnen und Freundinnen des Ladens, jung und in meinem Alter,
sogar ein Mann -mitgeschleppt von seiner Liebsten!, - und natürlich meine Seelenverwandte,
die gleichzeitig wunderbare Gastgeberin, moralische Unterstützerin und Souffleuse für alle
Fälle war.
Und dann ging's tatsächlich los.
Ich mit meinem inzwischen vom vielen lesen üben schon leicht zerfledderten Buchs in der
Hand, Schweißfilm auf der Stirn und dem festen Vorsatz, nicht ohnmächtig zu werden.
Erster Satz: Noch leicht zitternd.
Zweiter Satz: Fast fehlerfrei.
Dritter Satz: Plötzlich lacht jemand!
Ich hätte vor Erleichterung beinahe das nächste von mir eingefügte Absatzzeichen umarmt.
Nach 10 Minuten war ich drin.
Der Laden roch nach auserlesenen Duftkerzen, spritzigem Cremant und Lampenfieber.
Ich las, gestikulierte, improvisierte - und irgendwann war sogar ich überzeugt, dass ich wusste, was ich da tue.
Als ich fertig war, wurde geklatscht. Echt und ehrlich geklatscht! Nicht nur aus Höflichkeit...
Ich war kurz davor mich zu verbeugen, ließ es aber bleiben - ich saß ja zwischen
Kleiderstangen mit Vintage-Kleidern und Regalen voller Kaschmir-Pullis, und stand nicht
auf der Bühne der Elbphilharmonie.
Danach trank auch ich endlich ein Glas leckeren Rosé-Cremant statt Aperol, herzhaftes
Lachen und ehrliche Kommentare füllten den Raum, und einige haben mein Buch sogar
gekauft - heute gab's ja noch die Widmung gratis.
Später, als die letzten Stühle und Bänke zusammengeklappt waren, dachte ich:
Vielleicht ist das der perfekte Ort für einen Lesung.
Lebendig, unkompliziert, ein bisschen ungewöhnlich...so wie das Leben selbst.
Und beim nächsten Mal?
Vielleicht wieder hier.
Oder im Waschsalon.
Da ist die Akustik bestimmt auch ganz gut.

